« zurück zur Liste

Baufinanzierung und Immobilienkredit: Ist Vollfinanzierung sinnvoll in Zeiten niedriger Zinsen?

Ist es sinnvoll, die eigenen vier Wände in der aktuellen Phase historisch niedriger Zinsen zu realisieren? Nicht wenige Finanzexperten würden die rhetorisch anmutende Frage mit einem eindeutigen „Jein“ beantworten. Zwar locken die Geldinstitute vor dem Hintergrund historisch tiefen Zinsniveaus mittlerweile mit fantastischen Dumping-Zinssätzen. Jedoch macht der scheinbar verbraucherfreundliche Umstand die Finanzierung des Eigenheims nicht zwingend günstiger. Besonders dann nicht, wenn die Zinsen auf absehbare Zeit wieder steigen und kein Eigenkapital zur Finanzierung vorhanden ist – eine Medaille mit den berühmten zwei Seiten eben.

Foto: pixabay©delphinmedia (CC0 1.0)


Nicht auf ein Zinstief bauen
Derzeit paradiesisch anmutende Zinssätze verstellen allzu leicht den nüchternen Blick auf die Tatsache, dass Niveaus von einem oder anderthalb Prozent in der Regel nur für eine Zinsbindung von fünf Jahren festgeschrieben werden. Wer größere Sicherheiten mit längerer Zinsbindung will, muss tiefer in die Tasche greifen und höhere Sätze in Kauf nehmen. Hohe Sicherheiten lassen sich Kreditinstitute stets etwas kosten: Für längere Laufzeiten bei der Zinsbindung erhebt die Bank einen Zinsaufschlag.

Wenn mittelfristig, wovon auszugehen ist, die Zinsen wieder gestiegen sind, wächst die monatliche Belastung der Darlehensnehmer drastisch an. Eine nicht vorausschauende Finanzierung – gerade noch bei fehlendem Eigenkapital – kann dann schnell zum Kostengrab werden.

Finanzielle Spielräume erhalten
Dennoch: Statt sich für nur fünf Jahre auf einen minimalen Zinssatz festzulegen, kann es aus Gründen von Planungssicherheit angezeigt sein, sich für eine längere Zinsbindung zu entscheiden - auch dann, wenn der Zinssatz dann etwas höher ausfällt.
Resultat ist eine konstante monatliche Belastung über einen längeren Zeitraum hinweg, bei entsprechend langer Zinsbindung im Rahmen eines Volltilger-Darlehens sogar für die gesamte Laufzeit.

Online-Vergleiche einholen
Zu Beginn einer Baufinanzierung sollte stets die Frage im Zentrum aller Überlegungen stehen, wie viel Geld monatlich für die Rückzahlung des Baukredits bzw. des Darlehens zur Verfügung steht. Diverse Haushaltsrechner im Netz können eine willkommene Hilfestellung dabei leisten, sich einen Überblick über die eigene Haushaltslage und das investierbare Budget zu verschaffen.

Auch die richtige Auswahl an Darlehensangeboten kann zu Ersparnissen im vierstelligen Euro-Bereich führen. Zahlreiche Online-Bauzinsrechner können für einen vergleichsweise komfortablen Vergleich sorgen. Mit Hilfe eines persönlichen Finanzierungsrechners ist eine günstige Baufinanzierung mit interhyp schnell errechnet. Dabei können verschiedene Modelle und Varianten mit unterschiedlicher Laufzeit und Zinsbindung virtuell durchgespielt werden. Auch wird eine fiktive Restschuld für eine mögliche Anschlussfinanzierung berechnet oder auch ein Worst-Case-Szenario bei fehlendem Eigenkapital simuliert.


Foto: pixabay©TheDigitalWay (CC0 1.0)


Kaufnebenkosten und Liquiditätsreserve einplanen
Selbst bei einer Vollfinanzierung sollten Rücklagen vorhanden sein. Da sich Banken bei der Kreditvergabe ausschließlich am Kaufpreis und Marktwert einer Immobilie orientieren (das zu erwerbende Eigentum dient als Sicherheit für die Beleihung), sind Kaufnebenkosten wie

  • Notar- und Grundbuchamt-Kosten (Auflassungsvormerkung, Grundbucheintrag; zwei Prozent des Kaufpreises)
  • Grunderwerbssteuer (an das Finanzamt zu entrichten; je nach Bundesland fallen Steuern in Höhe von dreieinhalb bis zu sechseinhalb Prozent an.)
  • Eventuelle Maklergebühren (je nach Dienstleister variabel, branchenüblich bis zu sechs Prozent des Kaufpreises)

in dem Finanzierungspaket nicht enthalten und müssen selbst bei einer Vollfinanzierung als Eigenleistung vom Erwerber aufgebracht werden. Die Kosten schlagen je nach Bundesland mit rund acht bis 15 Prozent zu Buche. Zahlreiche Immobilien-Nebenkostenrechner im Netz können Übersicht verschaffen und Orientierung bieten.

Dazu kommen Reserven, die trotz Vollfinanzierung gebildet werden sollten, um etwaige unvorhersehbare Reparaturen oder Mietausfälle von mehreren Monaten mit dem regulären Monatsgehalt abdecken zu können. Wie viel Eigenkapital der Kreditnehmer vorhalten sollte, hängt vom persönlichen Sicherheitsbedürfnis ab. Gängige Empfehlungen stützen sich auf zwei bis drei Monatsgehälter.

Mehr Flexibilität bei Vollfinanzierungen – aber nicht für jeden
Für eine Finanzierung ohne Eigenmittel wirkt sich nachteilig aus, dass Banken versuchen, die mit fehlendem Kapital verbundenen höheren Risiken mit Zinsaufschlägen abzusichern. Je mehr Kapital da ist, umso günstigerer ist der Zins für den Darlehensnehmer. Mittlerweile gehen immer mehr Banken dazu über, auch Vollfinanzierungen von bis zu 110 Prozent einzuräumen, die auch gleich die Kaufnebenkosten mit abdecken.


Foto: pixabay©Meditations (CC0 1.0)


Noch vor wenigen Jahren konnten Kreditnehmer mehr als 80 Prozent der Baukosten oder des Kaufpreises kaum bekommen. Ohne 20 Prozent Eigenkapital plus Nebenkosten blieb der Traum von Wohnung und Haus für Bauwillige eine Illusion.

Vollfinanzierungen, die zum Teil auch noch Nebenkosten abdecken, bieten inzwischen viele an. Gerade jüngere Familien mit überdurchschnittlich hohem Einkommen aber ohne Rücklagen, haben die besten Chancen in den Genuss von Vollfinanzierungen zu kommen. Voraussetzung: Neben einem hohen, gesicherten Einkommen müssen Bonität und Schufa-Score tadellos sein. Der Kreditnehmer muss nachweisen können, dass er seine hohen Kreditraten in den kommenden Jahren problemlos aufbringen kann.

Antragsteller in prekären Arbeitsverhältnissen oder auch mit schwankendem Einkommen (Selbständige, Freiberufler) bringen weitaus weniger günstige Voraussetzungen mit, eine Vollfinanzierung oder eine 110-Prozent-Finanzierung zu erhalten und bleiben in der Regel aus Bankensicht außen vor.

Der Vorteil von bis zu 120-prozentigen Finanzierungen liegt auf der Hand: Bauwillige können sich schneller zum Bau oder Kauf entscheiden. Das aktuell niedrige Zinsniveau schafft ebenfalls günstige Bedingungen für den Immobilienkauf ohne Eigenmittel.

Ohne Kapital = höheres Risiko
Dafür müssen Schuldner ohne Eigenmittel jedoch auch einige negative Aspekte mit ins Kalkül ziehen.

So

  • sind sie in der Abzahlungsphase höher belastet, da die Zinskosten vergleichsweise um das Doppelte bis Dreifache ansteigen.
  • dauert die Finanzierung länger, einem höheren Sollzins geschuldet: Zinsaufschläge bei Beleihungen von 60 bis 70 Prozent von rund 0,05 bis 0,10 Prozentpunkten, bei 80 bis 100 Prozent von 0,20 bis 0,80 und bei 100 Prozent von mindestens einem Prozentpunkt sind marktüblich.
  • liegt das Risiko eines vergleichsweise höheren Schuldenbergs höher, wenn Unwägbarkeiten wie Krankheit, Arbeitsplatzverlust oder Scheidung eintreten.

Im Ernstfall dient der Bank dann die Immobilie selbst als Sicherheit, da sie sich vorher über die Eintragung der Grundschuld abgesichert hat. Im Gegensatz zum Kreditnehmer steht die Bank nicht mit leeren Händen da, wenn eine Finanzierung scheitert. Ihr bleibt die Option einer Zwangsversteigerung, um so wenigstens einen Teil ihrer offenen Forderungen zurück zu bekommen.


Foto: pixabay©andibreit (CC0 1.0)


Fazit
Vollfinanzierung ist selbst in Zeiten niedriger Zinsen nur bedingt sinnvoll. Trotz niedriger Baugeldzinsen ist Vorsicht geboten. Abgesehen von der Tatsache, dass einige Banken Vollfinanzierungen aus berechtigten Gründen grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen, ist die Finanzierungsform für beide Seiten besonders riskant und für den Verbraucher letztlich immer teurer. Vollfinanzierte Immobilien können trotz anhaltenden Zinstiefs schneller zu einer ernsthaften Belastung werden, wenn nicht alles so läuft wie geplant. Unwägbar groß ist das Risiko steigender Zinsen nach Ablauf der Zinsbindungsfrist. Denn: Auch dann müssen die neuen, höheren Kosten noch tragbar sein.

468865
« zurück zur Liste