Ohne belastbare Fakten setzt sich niemand gegen das Finanzamt durch
Theoretisch können Steuerpflichtige eine verkürzte Restnutzungsdauer auch ohne Gutachter gegenüber dem Finanzamt geltend machen. In der Praxis ist das aber mühsam:
- Die Argumentation muss detailliert, schlüssig und belegbar sein.
- Das Finanzamt prüft jeden Punkt und kann eine Verkürzung mit Begründung ablehnen.
Wird dagegen ein Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten oder nach DIN EN ISO/IEC 17024 zertifizierten Sachverständigen vorgelegt, der die Immobilie persönlich besichtigt und bewertet hat, steigt die Akzeptanz erfahrungsgemäß deutlich. Das Finanzamt kann ein solches Gutachten nicht einfach mit einem Standardsatz abschließen – eine Ablehnung muss fachlich gut begründet werden und ist daher erheblich unwahrscheinlicher.
Die Restnutzungsdauer hängt von vielen Faktoren ab – und grundsätzlich vom Gebäudetyp. Immobilien, die zu einem Betriebsvermögen gehören und nicht zu Wohnzwecken dienen, müssen eine wirtschaftliche Restnutzungsdauer von weniger als 25 Jahren aufweisen, wenn der Bauantrag zwischen dem 1. April 1985 und dem 31. Dezember 2000 gestellt wurde. Bei neueren Gebäuden in Firmeneigentum beträgt die Restnutzungsdauer 33,33 Jahre.
Für Wohngebäude in Privateigentum gelten andere Rahmenbedingungen: Wurde das Haus vor 1925 fertiggestellt, muss die Restnutzungsdauer weniger als 40 Jahre betragen, um eine AfA-Verkürzung zu beantragen. „AfA“ bedeutet „Absetzung für Abnutzung“. Für Häuser, die zwischen 1925 und 2022 errichtet wurden, muss die Restnutzungsdauer 50 Jahre unterschreiten. Und für moderne Immobilien, die ab 2023 fertig gebaut wurden, lohnt sich der Versuch einer AfA-Verkürzung nur bei einer Restnutzungsdauer von weniger als 33,33 Jahren.
Ein Beispiel verdeutlicht den Unterschied:
Ein älteres Mehrfamilienhaus wurde für 300.000 Euro gekauft. Rund 60 Prozent des Kaufpreises entfallen auf das Gebäude. Nach den Standardwerten des Finanzamts beträgt die Nutzungsdauer 50 Jahre – ein Gutachter hält jedoch nur 20 Jahre für realistisch.
Die AfA steigt also von 3.600 Euro auf 9.000 Euro pro Jahr – eine jährliche Mehrabschreibung von 5.400 Euro. Über einen Zeitraum von 15 Jahren ergibt sich daraus ein zusätzlicher Abschreibungsbetrag von insgesamt 81.000 Euro. Das ist keine Kleinigkeit, sondern ein spürbarer Vorteil über viele Jahre hinweg. Der Unterschied zwischen Theorie und Realität kann hier mehrere Tausend Euro Steuerersparnis pro Jahr ausmachen – ausgelöst durch ein einziges, fachlich fundiertes Gutachten.
Für private Vermieter sind also deutlich schnellere Abschreibungen möglich. Beim Restnutzungsdauer-Gutachten geht es im Kern immer darum, dass der Sachverständige glaubhaft belegen kann, dass die rechtlichen, technischen oder wirtschaftlichen Umstände des konkreten Gebäudes vom Normalfall abweichen. Wirtschaftlich ist jede Nutzung nur, wenn die Erträge die Kosten übersteigen.
Über den Autor
André Heid ist zertifizierter Immobiliengutachter nach DIN/EN ISO 17024 von TÜV, DEKRA, IHK, DIA und EIPOS. Er führt gemeinsam mit Katharina Heid die Heid Immobilienbewertung & Immobiliengutachter sowie Sachverständigen GmbH in Walldorf. Zu seinem bundesweiten Team gehören rund 180 Sachverständige.
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